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11.02.2020

Wie entstehen die Wartezeiten in der Kinder-Notaufnahme?

Die Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin Iris Harlander leitet seit 2015 die Kinder-Notfallambulanz der Cnopfschen Kinderklinik. Foto: Diakoneo/Claudia Pollok
Der Triage-Raum ist das eigentliche Herzstück der Kinder-Notfallambulanz. Stationsleiterin Iris Harlander hat ihn an der Cnopfschen Kinderklinik gemeinsam mit ihrem Team etabliert und 2019 neu gestaltet. Foto: Diakoneo/Claudia Pollok
Schwester Birgit im Triage-Raum Foto: Diakoneo/Claudia Pollok
Immer den roten Rechtecken nach: der markierte Weg zum Triage-Raum Foto: Diakoneo/Claudia Pollok
Beim Manchester-Triage-System ordnen die Pflegekräfte dem Patienten an Hand seiner Hauptsymptome eine bestimmte Triage-Farbe zu. Es gibt fünf Dringlichkeitsstufen. Foto: Diakoneo/Claudia Pollok
So ruhig ist es hier selten. Der Wartebereich vor dem Triage-Raum – vor der Öffnung. Foto: Diakoneo/Claudia Pollok

Die Cnopfsche Kinderklinik nutzt das Manchester-Triage-System, um sicher und nachvollziehbar die Behandlungsreihenfolge der kleinen Patienten festzulegen

„Wer ist als nächstes dran? Und warum wird dieses Kind vor meinem behandelt? Kam die Familie nicht nach uns?“ Solche Fragen haben sich wohl die meisten Eltern schon einmal gestellt, als sie mit ihrem Kind im Wartebereich einer Kinder-Notaufnahme saßen. Das Warten in der Notfallambulanz ist für Kinder und Eltern oft eine sehr belastende Situation. Deswegen arbeitet die Cnopfsche Kinderklinik von Diakoneo mit dem sogenannten Manchester-Triage-System. Diese qualifizierte Ersteinschätzung durch eine Triage-Pflegekraft schafft schnell einen Überblick über den Schweregrad der Erkrankung des Kindes. Für das Ärzte-und Pflegeteam wird damit die Dringlichkeit der Behandlung ersichtlich. Für die Eltern ist es beruhigend gleich nach dem Eintreffen in der Notfallambulanz zu erfahren, wie es um ihr Kind steht und mit welcher Wartezeit sie zu rechnen haben.

Im Wartebereich der Kinder-Notfallambulanz der Cnopfschen Kinderklinik sitzen Kinder, Eltern und Jugendliche. Ein kleiner Junge wippt gelangweilt auf dem Stuhl neben seinem Vater, sein Daumen ist geschwollen – ein Schulunfall. Zwei junge Eltern beugen sich über ihr Baby, dessen winzige Hand gerötet ist. Ein kleines Mädchen spielt und kratzt sich immer wieder gedankenversunken im Gesicht. Im Schockraum liegt ein Baby mit Atemnot. Ein typischer Nachmittag in der Kindernotaufnahme – laufend kommen neue Kinder und Eltern hinzu, durchschnittlich sind es rund 50 Patienten pro Wochentag, an Samstagen und Sonntagen rund 100.

Die Mitarbeiterinnen am Empfang zeigen ihnen den Weg zur Kinder-Notaufnahme. Sie müssen den roten Rechtecken am Boden folgen. Am Ende der Markierung stehen sie vor einem kleinen Raum, auf dem mit großen roten Buchstaben „Triage“ steht. Triage leitet sich vom französischen „trier“ ab, das „sortieren“ oder „aussuchen“ bedeutet. Der Triage-Raum ist das eigentliche Herzstück der Kinder-Notfallambulanz.

Ein Leitsystem zur Ersteinschätzung der kleinen Patienten

Stationsleiterin Iris Harlander hat den Triage-Raum 2019 gemeinsam mit ihrem Team neu gestaltet. Die erfahrene Kinderkrankenschwester arbeitet bereits seit 1991 in der Cnopfschen Kinderklinik. Vor vier Jahren hat sie die Leitung der Kinder-Notfallambulanz übernommen und das Manchester-Triage-System – kurz MTS – eingeführt, das 1995 in England entwickelt wurde. „Dieses Leitsystem hilft den Pflegekräften schnell und nachvollziehbar eine Ersteinschätzung der Patienten vorzunehmen und wird mittlerweile in einigen Krankenhäusern genutzt“, erklärt die Stationsleiterin.

Kinderkrankenschwester Birgit holt zwei neu angekommene Eltern und ihre dreijährige Tochter zu sich in den Triage-Raum. Sofort beginnt sie die Personalien der Familie aufzunehmen und die Beschwerden des Kindes zu erfragen. Das Mädchen hat einen Ausschlag bekommen, nachdem sie ein Antibiotikum genommen hatte, erzählt der Vater. Die Mutter spricht kaum Deutsch. Schwester Birgit misst behutsam die Temperatur, den Puls und die Atmung des Kinders, notiert die Ergebnisse und heftet den Auswertungsbogen in ein grünes Klemmbrett. „Es ist nichts Schlimmes. Sie müssen circa eine Stunde warten.“

Fünf Dringlichkeitsstufen für die Beschwerden der Kinder in der Notaufnahme

„Beim Manchester-Triage-System ordnen wir dem Patienten an Hand seiner Hauptsymptome eine bestimmte Triage-Farbe zu, welcher wiederum eine maximale Zeitvorgabe bis zum ärztlichen Erstkontakt hinterlegt ist“, erklärt Iris Harlander. „Es gibt fünf Dringlichkeitsstufen. Rot bedeutet: akute Lebensgefahr – der Patient muss sofort behandelt werden. Orange: sehr dringend, Gelb: dringend, Grün: normal, und Blau: nicht dringend. 53 Diagramme mit Beschwerdebildern und Symptomen wie Blutverlust, Bewusstlosigkeit, Atemnot helfen den Pflegekräften dabei zielgerichtet die Schwere der Krankheitszeichen zu erfassen.“

Schwester Birgit legt das grüne Klemmbrett mit ihrer Ersteinschätzung zu den anderen ins Behandlungszimmer. Die Ärztin sieht so auf den ersten Blick, wer als nächstes dran kommt. Die Eltern verstehen die Reihenfolge in ihrer Sorge und Aufregung oft nicht auf Anhieb. Da hilft nur erklären und um Verständnis werben, das weiß Schwester Birgit. Der Vater des kleinen Jungen mit dem geschwollenen Daumen kommt auf sie zu und möchte wissen, warum sie so lange auf den Arzt warten müssen und nicht einfach direkt zum Röntgen gehen können. Es sei doch klar, dass der Daumen gebrochen ist. Schwester Birgit bittet ihn um Geduld. Nur der Arzt darf entscheiden, ob geröntgt wird oder nicht. Das Baby im Schockraum leidet unter Atemnot. Damit ist es im Triage-System nach vorne gerutscht. So kam es für andere Patienten zu einer Verlängerung der Wartezeit.

Mehr Sicherheit für die kleinen Patienten

„Die Kommunikation mit den Eltern ist uns in der Kinder-Notfallambulanz besonders wichtig. Alle Eltern haben erst einmal Angst um ihr Kind und möchten am liebsten sofort dran kommen. Dafür haben wir vollstes Verständnis“, sagt Iris Harlander. „Mit der Triage haben wir ein sehr gutes System gefunden, die Kinder nachvollziehbar und einheitlich zu beurteilen. Früher hat jede Schwester für sich entschieden, wer am dringendsten behandelt werden muss. Jetzt haben wir ein standardisiertes Verfahren. Alle Pflegekräfte stufen die Kinder nach denselben Kriterien ein. Das bedeutet für die kleinen Patienten eindeutig ein Plus an Sicherheit.“

In der Kinder-Notfallambulanz sitzt jetzt auch ein kleiner Junge im Rollstuhl, der mit Verdacht auf eine Blinddarmentzündung mit dem Krankenwagen eingeliefert wurde. Die Ultraschalluntersuchung gab aber schnell Entwarnung. Schwester Birgit lächelt dem Vater aufmunternd zu. Vater und Sohn müssen trotzdem noch auf die restlichen Untersuchungen warten. „Jetzt, wo ich weiß, dass es keine Blinddarmentzündung ist, bin ich erst einmal beruhigt“, sagt der Vater zu ihr. Auch das junge Paar mit dem Baby sitzt immer noch im Wartebereich. Sie haben damit gerechnet mindestens zwei Stunden zu warten und wechseln sich geduldig beim Tragen und Schaukeln ihres Kindes ab.

Stationsleiterin Iris Harlander weiß, dass die besondere Herausforderung für ihre Triage-Pflegekräfte ist, unter all den harmlosen Fällen echte Notfälle in kürzester Zeit an Hand von wenigen Symptomen zu erkennen: „Viele der Kinder, die in die Notaufnahme gebracht werden, hätten genauso gut in einer Kinderarztpraxis versorgt werden können.“ Von den Triage-Schwestern wie Birgit erfordert dieser Patientenandrang acht Stunden höchste Konzentration. „Aktuell werden bei uns rund 28 000 kleine Patienten pro Jahr versorgt – Tendenz steigend. Das stellt uns jeden Tag vor neue Herausforderungen.“ Iris Harlander sieht eine Verbesserung der derzeitigen Situation im gegenseitigen Verständnis: „Unsere Pflegekräfte nehmen die Ängste und Sorgen der Eltern sehr ernst. Es ist aber auch eine Entlastung, wenn Eltern gut abwägen, ob sie zum Kinderarzt oder in die Notfallambulanz gehen.“